Veröffentlicht: 3. November 2011 in Domains & DNS.

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Interview mit den DENIC-Vorstandsmitgliedern Sabine Dolderer (CEO) und Dr. Jörg Schweiger (CTO) anläßlich von 25 Jahren .de. Wie fing alles an? Welche Faktoren haben zum Erfolg von .de beigetragen und was erwarten Sie für die Zukunft der deutschen Top Level Domain?

Frau Dolderer, was war Ihre erste Begegnung mit .de?
Sabine Dolderer: Meine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Karlsruhe. Dort war ich seit 1994 verantwortlich für zentrale Netzdienste, unter anderem auch für den Nameservice.

Erläuterung: Die Hauptaufgabe des sogenannten Domain Name Systems ist die Auflösung von Domains wie www.denic.de, die für Menschen leicht einprägsam sind, in die dazugehörige numerische IP-Adresse (hier: 81.91.170.12), über die Rechner miteinander kommunizieren.

Sie gehören zu den Pionieren des deutschen Internets. Was hat Sie an dieser Arbeit gereizt?
Sabine Dolderer: Die Arbeit mit Rechnern und den damals neuen UNIX-Systemen. Die neuen Möglichkeiten zur Vernetzung und deren Umsetzung haben mich begeistert. Das war und ist ein sehr spannendes Aufgabenfeld in dem nationale und internationale Verbindungen sehr schnell gewachsen sind und wachsen.

Worauf lag damals der Fokus der Entwicklung bzw. was waren die größten Hindernisse?
Sabine Dolderer: Beispielsweise übten die staatlichen Institutionen, die die Fördergelder bereitstellten, starken Standardisierungsdruck aus, was die Netzwerkentwicklung anging, Stichwort OSI-Protokolle. Zudem waren damals die Bandbreiten noch sehr gering, die Übertragungskosten aber – durch das noch bestehende Postmonopol – sehr hoch. Beispielsweise hat in den 1980ern die Übertragung einer Schreibmaschinenseite durchschnittlich 7 Sekunden gedauert – kein Vergleich zu den multimedialen Inhalten, die heute in dieser Zeitspanne bewegt werden.

Erläuterung: Die OSI-Protokolle sind Bestandteil des OSI-Schichtenmodells, einer Designgrundlage, auf deren Basis im Rahmen der Internationalen Fernmeldeunion ITU (International Telecommunication Union) Kommunikationsprotokolle für Computernetze entwickelt wurden. Im Internet durchgesetzt hat sich jedoch die Protokollfamilie TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol), die aus dem ARPANET hervorging, dem in amerikanischen Militärkreisen genutzten Vorläufer des Internets.

Herr Dr. Schweiger, wann kamen Sie denn persönlich zum ersten Mal mit dem Internet in Berührung?
Jörg Schweiger: Während meines Studiums. Damals waren die noch häufig genutzten Newsgroups, in denen sich Fachleute aus aller Welt austauschten, für mich besonders interessant. Wirklich intensiv wurde der Kontakt tatsächlich aber erst durch den WWW-Dienst.

War es in dieser Anfangszeit vorstellbar, dass es irgendwann einmal – wie aktuell – mehr als 14,6 Millionen .de-Domains geben könnte, die pro Sekunde durchschnittlich rund 100.000 Mal aus aller Welt angefragt werden?
Sabine Dolderer: Nein, das hätte niemand gedacht. Damals war alles noch experimentell und wenig formal. Die ersten Internetadressen wurden einfach von Hand irgendwo notiert. Daher kann man heute beispielsweise auch nicht mehr nachvollziehen, welches die faktisch erste .de-Domain war. Die ersten sechs sind bekannt – nämlich dbp.de, rmi.de, telenet.de, uka.de, uni-dortmund.de und uni-paderborn – in welcher Reihenfolge sie registriert wurden hingegen nicht.

Was hat diesen Siegeszug der .de-Domains schließlich ausgelöst?
Jörg Schweiger: Anfangs war das Ganze eher ein Nischenthema für Universitäten, die noch junge IT-Branche und elektronikbegeisterte Tüftler. Der Durchbruch kam in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre mit Entwicklungen wie etwa denen von Tim Berners-Lee: die Seitenbeschreibungssprache HTML, das Transferprotokoll HTTP und der erste frei verfügbare Webserver und -browser machten das Medium Internet einer größeren Masse zugänglich.

Sabine Dolderer: Danach explodierte die Anzahl der .de-Domains von nur 1.611 im Jahr 1994 auf rund 105.000 im Jahr 1997, und weitere zwei Jahre später waren es bereits mehr als 1,3 Millionen.

Was macht den speziellen Erfolg von .de aus?
Jörg Schweiger: Zum einen die stabile Infrastruktur. D.h. nicht nur ein funktionierendes Registrierungssystem für Neuregistrierungen oder Änderungen von Registrierungsdaten, sondern auch die schnellen und verlässlichen Antwortzeiten beim Aufruf von .de-Domains.
Sabine Dolderer: Der zweite wichtige Faktor sind zweifellos die deutschen Rahmenbedingungen. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass .de mit deutlichem Abstand die größte Länderkennung im Internet ist.

Wie unterscheiden sich denn die Rahmenbedingungen in Deutschland von denen anderer Länder?
Sabine Dolderer: In Deutschland galten von Anfang an sehr liberale Registrierungsbedingungen, die sich heute übrigens weitgehend auch in anderen Ländern durchgesetzt haben. Hinzu kommt, dass die Internetserviceprovider in Deutschland bereits sehr früh und im Direktvertrieb nicht nur reine Domains, sondern zusätzlichen Mehrwert etwa in Form von Webspace, Mailadressen oder Homepagegestaltung angeboten haben. Dadurch wurde die Nutzung von Domains sehr vereinfacht und Grundlage weiterer Dienste.

Wieso hat man in Deutschland diesen Weg eingeschlagen?
Jörg Schweiger: Schon früh haben sowohl wissenschaftliche wie auch kommerzielle und nichtkommerzielle Interessengruppen die Potenziale des Internets erkannt und zu dessen Erschließung zusammengewirkt. Inzwischen hat sich in Deutschland das privatwirtschaftliche Modell der Domainverwaltung und des Betriebs der dafür nötigen technischen Infrastrukturen längst bewährt. Nach mittlerweile 15 Jahren, in denen .de-Domains von DENIC verwaltet und technisch betreut werden, steht die Genossenschaft für Kompetenz, Zuverlässigkeit und Integrität und genießt das ausdrückliche Vertrauen der deutschen Politik.

Dieser Tage wird das Internet vielfach als demokratisches Werkzeug gefeiert, wie sieht es in Deutschland damit aus?
Sabine Dolderer: Entwicklungen im Internet können nur im Dialog erfolgen. Dafür steht der Begriff Multistakeholdermodell. So sitzen beispielsweise auf internationaler Ebene bei ICANN, IETF oder dem IGF alle Beteiligten an einem Tisch, wenn es um die Abstimmung technischer Parameter oder um Internet Governance geht. Auch innerhalb Deutschlands gibt es dazu breit aufgestellte Prozesse wie beispielsweise die paritätisch besetzte Enquete-Kommission des Bundestags „Internet und digitale Gesellschaft“. Und DENICs Organisation als Genossenschaft unterstützt ebenfalls offene, demokratische, gleichberechtigte, neutrale und diskriminierungsfreie Strukturen.
Erläuterung: Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) ist eine privatrechtliche Not-Profit-Organisation US-amerikanischen Rechts. Als zentrale Internetverwaltungsorganisation entscheidet ICANN über die Grundlagen der Verwaltung der Top Level Domains (TLDs) und koordiniert auf diese Weise technische Aspekte des Internets, ohne jedoch verbindliches Recht zu setzen. Die Regierungen der Welt sind im Regierungsbeirat (Governmental Advisory Committee, GAC) bei ICANN als Stakeholder vertreten.
Die IETF (Internet Engineering Task Force) ist das internationale Standardisierungsgremium für Internet-Protokolle. Durch Pflege und Weiterentwicklung der Kommunikationsdienste spezifiziert sie die „Sprache des Internets“.
Das IGF (Internet Governance Forum) bringt internationale Stakeholder (Staatsvertreter, internationale Organisationen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft) zusammen, um Fragen von öffentlichem Interesse zur konkreten künftigen Ausgestaltung der Internetverwaltung zu diskutieren.

Ist das Genossenschaftsmodell für ein schnelles Medium wie das Internet heute überhaupt noch aktuell?
Sabine Dolderer: Gerade heute und besonders unter dem bereits angesprochenen Demokratieaspekt, denn es bietet sowohl kleinen wie auch großen Mitgliedsunternehmen, die gemeinsam übrigens einen Großteil der deutschen Internetwirtschaft repräsentieren, die Möglichkeit, Entwicklungen aktiv mitzubestimmen und voranzutreiben. Das Ergebnis ist ein breites, nicht von wenigen dominiertes Angebot, das die Interessen aller Nutzergruppen des Internets widerspiegelt. Damit profitiert vom Genossenschaftsgedanken, der ja auch ein Gemeinschaftsgedanke ist, schlussendlich die gesamte Internetcommunity.

Diese Internetcommunity hat sich speziell in den letzten Jahren sehr gewandelt. Statt Konsumieren ist heute Mitgestalten ein wichtiges Thema. Wie prognostizieren Sie die Zukunft von .de? Werden soziale Netzwerke die klassischen Domains bald ablösen oder die demnächst kommenden neuen Namensendungen wie .reise oder .shop eine ernsthafte Konkurrenz für .de darstellen?
Sabine Dolderer: Sicher nicht. Eine eigene .de-Adresse ist und bleibt auch in Zukunft DIE Internetadresse hierzulande – wie bereits seit 25 Jahren. Präsenzen in sozialen Netzwerken oder regionalen und branchenspezifischen Zonen können natürlich eine sinnvolle Ergänzung sein, um Werbe- und Dialogziele zu platzieren.

Gibt es eigentlich mehr private oder mehr geschäftliche .de-Adressen?
Jörg Schweiger: Rund ein Fünftel der .de-Adressen sind auf Firmen und Organisationen registriert, vier Fünftel auf Privatpersonen. Rein rechnerisch hat also fast jeder sechste der gut 82 Millionen Bundesbürger eine eigene Präsenz im Web.

Als Technischer Vorstand von DENIC sind Sie dafür verantwortlich, dass .de rund um die Uhr einwandfrei funktioniert. Welche Rechnermengen und Kabelberge braucht es für fast 15 Millionen .de-Domains?
Jörg Schweiger: Das ist weit weniger spektakulär, als man es vermutet. Der erste Rechner, mit dem ich gearbeitet habe, war 1985 ein PC mit einem Intel 80386-Prozessor. Heute hat fast jedes Smartphone einen größeren Leistungsumfang. Entsprechend gab es auch in der Netzwerktechnologie in den vergangenen Jahren einen Trend zur Verkleinerung und Komprimierung, während gleichzeitig die Anforderungen und Kapazitäten ständig steigen.

Aber etwas größer als ein Smartphone ist die Technik im Hintergrund von .de schon?
Jörg Schweiger: Selbstverständlich. DENIC betreibt doppelt redundante Basisrechenzentren in Frankfurt und Amsterdam. Darüber laufen das Registrierungssystem, die Domaindatenbank, Auskunftsdienste wie whois, Backups und die Steuerung der 16 weltweit verteilten Nameservicerechner, bei denen wir besonderen Wert auf die Standorte legen.

Was genau ist bei den Standorten wichtig?
Jörg Schweiger: Diesen Nameservicedienst, unseren wichtigsten Service, erbringen wir mit 16 Nameserverclustern, die an den derzeit bedeutendsten Internet-Knotenpunkten der Welt platziert und mehrfach abgesichert sind.

Wieso in der ganzen Welt, wenn es doch um deutsche Internetadressen geht?
Sabine Dolderer: Deutschland ist keine Insel. Unter anderem über unsere Nameserver in Los Angeles, Saõ Paulo, Beijing oder Paris sind Webangebote auch aus dem Ausland gut und sicher zu erreichen. Beispielsweise deutsche Onlineshops oder deutsche Facebook-Seiten, über die Jugendliche während eines Schüleraustausches weiterhin mit Freunden und Familie in Kontakt bleiben.

Die wirtschaftliche Bedeutung des Internets innerhalb Deutschlands nimmt immer stärker zu. Aber nicht nur für deutsche Unternehmen ist eine .de-Domain ein Muss, sondern auch für viele sogenannte Global Player. Woran, denken Sie, liegt das?
Jörg Schweiger: Das ist ein Wechselspiel. In Deutschland hat sich das Internet relativ schnell zu einem wichtigen Markt entwickelt. Schon Ende der 1990er-Jahre strebte eine Vielzahl von Unternehmen aller Größen einen eigenen Internetauftritt an. Das ist auch weltweit agierenden Konzernen nicht entgangen und so haben viele Global Player unter .de ihre erste fremdsprachige Webpräsenz eingeführt, was wiederum das deutsche Internet und den deutschen Markt für Nutzer noch interessanter machte.

Erläuterung: Nach Untersuchungen der Unternehmensberatung McKinsey lag 2009 der Anteil des Internets am deutschen Bruttoinlandsprodukt bei 3,2 Prozent, mit einer nominalen Wachstumsrate von 24 Prozent allein in den vergangenen fünf Jahren. Laut der Studie lag damit der Anteil des Internets als Schlüsselindustrie an der Wirtschaftsleistung der wichtigsten 13 Industriestaaten bereits vor dem der Landwirtschaft, auf die durchschnittlich 2,2 Prozent entfielen.

Wird sich Ihrer Meinung nach die Veränderungsrate, die das Internet mit sich gebracht hat, auch in Zukunft so fortsetzen und was prognostizieren Sie für die nächsten sagen wir fünf oder zehn Jahre?
Jörg Schweiger: Das Internet wird auch in Zukunft noch für jede Menge Überraschungen sorgen. Viele davon auch im privaten Bereich. Denken Sie nur an das sogenannte Internet der Dinge. Etwa, wenn intelligente Heizungsregler die Raumtemperatur senken, während keiner der Bewohner zu Hause ist, die Waschmaschine mit Kleidungsstücken kommuniziert, um das passende Pflegeprogramm zu starten, oder wenn Sie über das mobile Internet mit der Person in Kontakt treten, die gerade an Ihrer Haustür klingelt. Die digitale Zukunft bleibt auf jeden Fall spannend.

 

Sabine Dolderer verantwortet bei DENIC, der unabhängigen Betreibergesellschaft der deutschen Länderdomain, als hauptamtliches Vorstandsmitglied die Services und Richtlinien der Genossenschaft. Dr. Jörg Schweiger ist als Technikvorstand zuständig für die reibungslose Bereitstellung aller technischen Dienste und deren Weiterentwicklung.

Das Interview ist vom 1.11.11 und wird mit freundlicher Genehmigung von DENIC veröffentlicht.